Die 1. Generation von Migrantinnen in Marxloh

Die Stadtteil-Historikerin Gülperi Kara beleuchtet in ihrer Arbeit eine Gruppe von Menschen, die sonst eher im Hintergrund agiert: die Frauen, Mütter, Schwestern der ersten Generation von Migranten, die in Marxloh Fuß fassten. Die Bürgerstiftung Duisburg begrüßt die Studie zur gesellschaftlichen Vielfalt.

Die Damen ihrer Interviewgruppe kennt Gülperi Kara aus der Alevitischen Gemeinde in Marxloh. Inzwischen sind die meisten zwischen sechzig und achtzig Jahren, kamen in den siebziger Jahren nach Deutschland und haben somit seit rund 50 Jahren Erfahrungen mit und Erinnerungen an Duisburg und Deutschland. Was wie bei vielen Gastarbeiterfamilien als Zwischenlösung gedacht war, um im „gelobten Westen“ zu einem gewissen Wohlstand zu kommen, entpuppte sich auch bei den befragten Frauen als Dauerlösung. Duisburg ist ihr Zuhause geworden, auch wenn die Wurzeln in der Türkei zu finden sind. Hier sind ihre Kinder geboren und aufgewachsen, hier wurden die Weichen für Lebenswege gestellt, hier erlebte man Glück und Leid, Ankunft und Abschied.

Sie erinnern sich noch gut an die erste Zeit in Deutschland. Es machte sich Resignation breit, als die beengten Wohnverhältnisse in den Duisburger Arbeitersiedlungen nicht den teils großzügigen Häusern in den Dörfern Anatoliens entsprachen. Die Trennung von der Familie, die fremde Sprache, die anderen Regeln trugen die Frauen mit und richteten sich so gut es ging ein. Sie legten großen Wert darauf, dass ihre Kinder sich in Schule und Beruf anstrengten, die Mädchen wie die Jungen, sodass die meisten heute einen Universitätsabschluss vorweisen können. Viele der ersten Migrantinnen können nicht lesen und schreiben, umso mehr Bedeutung maßen sie der Bildung ihrer Kinder bei.

Die 80er Jahre waren geprägt von praktischem Realitätssinn und Teilhabe. Einige Frauen besuchten die Sprachkurse der AWO in Marxloh, sie nahmen an Schwimmkursen teil oder gingen gern und oft in die Frauensauna. Sie gestalteten die Feierlichkeiten und Aktionen in der Gemeinde mit, kochten und richteten die Räume her, wodurch ihnen Dank und Anerkennung zukam. Dass man sie ins Rampenlicht holte, war eher nicht der Fall.

Gülperi Kara stellt in ihrer Recherche fest, dass sich das Heimatgefühl inzwischen nach Deutschland verlagert hat. Duisburg ist Dreh- und Angelpunkt geworden, in der Türkei ist man nur zu Besuch oder im Sommerurlaub. Bei den betagten Damen schwingt inzwischen viel Wehmut in den Erzählungen mit, wenn sie von ihrer Jugend berichten, von den Jahren der Familiengründung in Duisburg, wo die Nachbarschaft zusammenhielt und man sich gemeinsam unterstützte, von den deutschen Ersatzomas und -opas, die die Kinder verwöhnten und ihnen bei Hausaufgaben halfen. Dem Lauf der Dinge folgend zogen Freunde in bessere Gegenden und der Kontakt verringerte sich. Manche Menschen starben, vor allem die Männer, manche Ehe zerbrach. Eigentlich treffen sie sich regelmäßig donnerstags im Gemeindehaus, zumindest bis die Pandemie das gesellschaftliche Leben lähmte. Seitdem hat die Einsamkeit Einzug gehalten, ihnen fehlen die Gespräche, der Austausch, das gemeinsame Singen der Klagelieder, wenn jemand das Zeitliche segnet.

Als Gülperi Kara durch die Zeitung von dem Projekt „Stadtteil-Historiker“ erfuhr, hatte sie sofort den Impuls, mitzumachen und den Migrantinnen der 1. Generation endlich die Aufmerksamkeit zuteil kommen lassen, die ihnen gebührt. Es sind die Erfahrungen der Ungehörten, der Leisen, der Möglichmacherinnen ohne Applaus. Und es sind die Geschichten der Bewahrerinnen von Brauchtum, alten Weisheiten und Traditionen.